In “The Divide” (2011) fallen die Bomben in der allerersten Einstellung. Keiner weiß, woher sie kommen, ist auch ganz egal. Alles rennet, flieht, flüchtet. In diesem Fall in den Keller, zusammen mit all den anderen in Panik. Die Oma im Treppenhaus? Lass sie stehen, denk an Dich, renn weiter. Dieser Film weiß in den ersten fünf Minuten, was er will. Da, eine Tür, man presst sich dagegen, jemand will einen nicht hineinlassen, mehr drücken! Acht schaffen es, sich hineinzuquetschen, dann macht der Bewohner des Bunkers, Hausmeister Mickey (sehenswert: Michael Biehn), die Stahltüre zu. Bombengeräusche, Explosionen, dann Ruhe. Sieben Männer und zwei Frauen im Keller, während die Welt an der Oberfläche nuklear verwüstet ist. Klingt nicht nach Urlaub mit der TUI.
Regisseur Xavier Gens ist bisher nicht als Kunstfilmer aufgefallen. Mit “Hitman” fehl-adaptierte er das gleichnamige Videospiel, auch wenn das Ergebnis als Mainstream-Thriller besser ist als sein Ruf. Einen Namen machte er sich mit “Frontière(s)”, einem gewalttätigen Stück Terrorkino über eine Gruppe Pariser Jungkriminelle, die in die Hände von Hinterwälder-Neonazi-Wahnsinnigen fallen. Nichts neues, hieß es, aber als TCM-Aufguss immerhin ein schön gefilmter Folterporno. Den man wahrscheinlich nicht gesehen haben muss, zumal die Zensurschere 8 Minuten rauschnippelte.
Die Gorehounds, die “Frontière(s)” deswegen mochten, werden bei “The Divide” eher keine Freude haben. Wenig Action, Terror nur stellenweise, Spannung erneut abwesend. Um ganz ehrlich zu sein: Es zieht sich stellenweise etwas, aber das sollte Filmfans nicht abschrecken. Gens legt seine Geschichte im Rahmen seiner Regiefähigkeiten als Studie des Zerfalls der Menschlichkeit an, ganz ähnlich wie es J.G.Ballard in seinem Buch “ Der Block ” tut. Der dünne Firnis der Zivilisation fällt ebenso schnell ab wie das gesunde Aussehen. Die Gruppe bildet nach und nach ungeahnte Koalitionen aus und zerfleischt sich gegenseitig, Anfangs noch wegen Nahrung und Wasser; später, nachdem sie einen Vorratsspeicher entdecken, quälen sie sich nur noch als Mittel gegen die Langweile und vielleicht, um die Erkenntnis des sicheren Endes zu verdrängen. Denn um dieses Ende kommt keiner herum. “Wir werden alle sterben”, sagte die kleine Wendi, bevor sie von Männern im Strahlenschutzanzug entführt wird (eine der größten Dummheiten des Films). Recht hat sie, darauf läuft alles hinaus.
Gens hat auch diesmal noch keinen “guten” Film gedreht. Und natürlich ist “The Divide” im Kern ein B-Movie für Horrorfans, der unzählige Dummheiten aufweist. Dennoch ragt dieses Kammerspiel dank exzellenter Kamera und 1a Produktionsdesign deutlich aus dem Schuttberg klaustrophobischer Schundfilme heraus. Den Darstellern gebührt Respekt, denn gerüchteweise magerten sie während der Dreharbeiten ab, um den Verfall plastischer zu machen – und auch ohne das waren die Dreharbeiten bestimmt kein Spaß, man beachte nur Rosanna Arquettes Mut zu Verfall, Alter und Hässlichkeit.
Fazit: Vergessen Sie Mad Max & Co: So wie hier gezeigt sieht Endzeit wirklich aus. Authentischer und kompromissloser hat man Menschen im Bunker noch nicht elend krepieren sehen. Wer dabei zuschauen möchte, denn kann der Film empfohlen werden. Fans von Action, Thrills, Spannung, Mutanten und “üblichen Endzeit-Filmen” sollten einen Bogen drum machen.
Zu haben auf
DVD
&
Blu-ray
.
Eine ganz interessante Besprechung gibt es auch auf
mannbeisstfilm.de
In meiner Heimatstadt gibt es ein kleines, schäbiges Programmkino mit kaum 30 Plätzen. Der Eintritt kostet 5 Euro, die Flasche Bier kann direkt aus dem Kasten abgegriffen werden. Ab und zu kommt die Polizei und macht das Kino dicht, w
eil es Tsukamoto-Filme zeigt oder mongolische Pflanzenpornos. Ich übertreibe natürlich etwas, aber ich möchte einfach klarstellen, daß man da nicht reingeht, wenn man Richard-Gere-Filme sehen will.
Trotzdem war ich nicht auf das gefasst, was mich 2005 beim Besuch von “Die Reise ins Glück” erwartete. Spritzend schäumte mir das Bier aus dem Rachen, als mein Gehirn durch den Hals in den Darm fliehen wollte. Zwei Fragen würgten die Restruinen meines Verstandes: “Wann hört dieser beknackte Blödsinn endlich auf?” und “Das können die doch nicht ernsthaft gedreht haben!” Wiederholtes Ansehen auf DVD ändert nichts an dieser einzigartig zwiespältigen Erfahrung.
Die Story kann man nur mutmaßen. Ein netter Junge rettet einem blödem das Leben und wird ihn daher nicht mehr los. Der gute Gustav löst die freundschaftlichen Bande erst, als sie erwachsen sind und er mit seiner neuen Liebe Eva durchbrennt. Gustav wird als Seemann mit Eva und den Kindern glücklich alt und möchte sich auf einer Insel zur Ruhe setzen. Dort jedoch ist der blöde Junge inzwischen zum brutalen Tyrannen “König Knuffi” aufgestiegen und raubt ihm seine Eva. Die raubt Gustav irgendwie zurück und haut dann ab, und aus ist der Film. Oder so ähnlich.
Ent-setz-lich. Dennoch möchte man als Betrachter nach dem Abspann wieder in die Welt dieses Films zurückkehren, sie geradezu bewohnen. Vielleicht liegt es daran, daß das Boot des sächselnden Seemanns Gustav eine riesige schwimmende Schnecke ist, übrigens eine mit österreichischem Akzent. Vielleicht liegt es am ersten Kommandanten, einem sprechenden Bären mit der Stimme von Harry Rowohlt. Ich erinnere mich auch an ein Kaninchen, eine Eule und Frösche, alle mit nicht näher bestimmten Aufgaben, die man wohl nur dann verstehen kann, wenn man den Film öfter anschaut, als der geistigen Gesundheit zuträglich ist.
Die weitere Besatzung besteht aus schwarz angemalten Übergewichtigen, die sowas wie eine Neger-Kapelle mimen und irgendwann aus Auspuffrohren in das schießen, was wohl Dschungel sein soll. Das Königreich des Widersachers König Knuffi zeigt sich als Prunkalptraum aus Gold und Kitsch, in einer von Farben und Formen glänzenden Überfülle, gegen die sogar das “Brazil”-eske Innere des Schneckenschiffes aufgeräumt wirkt. Dieses Boot penetriert übrigens gegen Ende eine Kirche und verwandelt sich – in deren Beichtstuhl ejakulierend – in eine Zeitmaschine.
Kurz: Sowas haben Sie noch nie gesehen. Garantiert nicht.
“Citizen Kane” ist ein guter Film, da sind sich die meisten einig. Aber muss man “Citizen Kane” auch wirklich gesehen haben? Im Rückblick finde ich es irgendwie eine entbehrliche Erfahrung. Ganz anders “Die Reise ins Glück”. Dieser Film ist eindeutig schlecht, oder sagen wir zumindest: nicht gut. Dennoch behaupte ich: Anders als “Citizen Kane” müssen Sie “Die Reise ins Glück” unbedingt gesehen haben. Ich gehe sogar noch weiter: Wer diesen Film ignoriert und stirbt, wird in einer Folge von “Ghost Whisperer” als unbefriedeter Geist zurückkehren.
Zugegeben, man kann sich diese trippende Orgie maximal zwei, drei Mal ansehen, möglichst über mehrere Jahre verteilt, denn das verringert die Gefahr spontaner Selbstentzündung des Rückenmarks . Wer jedoch ganz auf dieses kolossale Vergnügen verzichtet, verschenkt sein Leben – und verpasst obendrein den grandiosen Ohrwurm “Tellerlip Girl”, Playback-gespielt von erwähnter Schuhcreme-Mohren-Combo, gesungen von Max Raabe. Allein dieser Act, zu hören auf der Website des Autors, ist den Eintrittspreis oder die DVD-Beschaffung wert. Und dem Hauptdarsteller Gustav Höhne, privat Lastwagenfahrer, wird man in einer fernen Zukunft Denkmäler setzen dafür, daß er sich für dieses mind-melting Machwerk in den umständlichsten Taucheranzug seit Noahs Kutte gezwängt hat.
Dazu kommt, dass DVD-Zuschauer nicht nur in den kritikerspaltenden Genuß des knapp 75minütigen Monumentalepos kommen, sondern sich auch noch vier Stunden Extras reinziehen können. Was sich absolut lohnt: Die Making-ofs beweisen, dass der Film nicht länger das eigentliche Kunstwerk ist; stattdessen war hier die Herstellung des Films die wirkliche Kunst, ein Event-Happing ohnegleichen. Dem staunenden Betrachter wird klar: Hier waren Wahnsinnige am Werk, und das mehrere Jahre lang. Selbst fehlendes Budget hinderte sie nicht, sie klauten einfach. Neben Regie-Chaot Wenzel Storch nimmt sich selbst Terry Gilliam wie ein Buchhalter aus, der mit großem Hollywood-Geld nur fade Hochzeitsvideos drehte.
Ein Film, für den 60 Tonnen Schrott bunt angemalt wurden, kann selbst nicht Schrott sein. Wurde ich von den Anbietern geschmiert, um diese zweifelhafte Zweckentfremdung von 35-mm-Zelluloid so übertrieben zu zelebrieren? Ich schwöre: nein. Seit Jahren schreibe ich Mails an Herrn Storch mit der Bitte um Infos, wann denn endlich die DVD erscheint; doch ich habe nie eine Antwort erhalten und stieß nur per Zufall auf den Release. Ja, so müssen Künstler arbeiten! Ganz für die Kunst leben und uns, dem Publikum, den nackten Arsch zeigen! Ich unterstütze das hiermit ausdrücklich und rufe dennoch auch Sie auf, sich dieses – Ding – auf DVD anzuschaffen. Sie werden es zwar bitter bereuen und mich verfluchen, aber die bewußtseinsmutierende Erfahrung wird es wert gewesen sein.
]]>
Ein Mann erwacht. Um sich herum: Beton oben, Beton unten, Beton links, Beton rechts. Gerade genug Platz, um zu existieren, aber nicht genug, um sich selbst zu bewegen. Stattdessen wird er bewegt – irgendwohin. Verliert das Bewusstsein. Erwacht, erneut gefangen, diesmal eingeklemmt zwischen zwei Betonwänden.
Zwischen seinen offenen Kiefern klemmt eine Metallröhre, die ihn an die Wand dahinter presst. Er kann den Kopf nicht bewegen, den Mund nicht schließen, nicht schreien. Er kann nur blind seitwärts tippeln, wobei seine Zähne über das Stahlrohr kratzen. Er tut´s trotzdem. Es dauert, aber irgendwann erreicht er doch eine Wand: Sackgasse. Er ist verzweifelt, trippelt seitwärts zurück, in die einzige andere Richtung, den Kopf zwischen Wand und Rohr geklemmt. Alle paar Meter hat das Stahlrohr einen Vorsprung, seine Zähne kreischen über das Metall – es ist entsetzlich. Endlich gelangt er ans linke Ende, das Rohr biegt ab und verschwindet in der Wand. Sein Kopf ist frei, endlich.
Doch wie geht´s weiter? Nun steht er in einem Hohlraum, in dem er sich nicht bewegen kann, nicht umdrehen, nicht hinsetzen. Vor ihm: ein Loch in der Wand. Ein Hammer zischt heraus, haut ihm auf den Kopf. Wieder und immer wieder. Er bricht zusammen, doch es geht nicht, weil kein Platz für ihn ist. Doch da! Hinter seinen Beinen: ein Loch im Beton! Es ist so eng, er kann nur rückwärts hinein kriechen, das Becken voraus, Arme und Beine hinter sich herziehend, ohne zu sehen, wohin er kriechen wird.
Und so geht´s weiter.
Wer sich “Haze” ansehen kann, ohne mit den Zähnen zu klappern, sollte dringend einen Therapeuten aufsuchen. Shinya Tsukamoto, Regisseur und Hauptdarsteller in einer Person, liefert einen Kurzfilm ab, der unter die Haut geht wie ein Fahrradunfall auf dem Kiesweg – in Badehose. Nur gut, dass der Horror nicht allzu lange währt: “Haze” dauert gerade mal 48 Minuten. Und von diesen spielen auch nur gut 25 Minuten in der allerschlimmsten Hölle der Einsamkeit.
Dann trifft der Namenlose eine Frau, und es wird etwas erträglicher. Bei Shinya geht´s ja – wie meistens sonst – um die Liebe, ganz egal, was für ein scheinbar krudes Zeug auf der Leinwand zu sehen ist.
Für all jene, die mit dem Tsukamotoschen Oeuvre bereits vertraut sind: Von der Machart her liegt “Haze” wohl irgendwo zwischen dem Mensch-Maschine-Monsterkunstfilm Tetsuo – The Iron Man und dem Betonschluchten-Boxerstreifen “ Tokyo Fist , nur viel schlichter gestrickt und mit einfachsten Mitteln (DV-Camcorder) gedreht. Das tut der Wirkung keinen Abbruch – Shinya könnte wahrscheinlich auch mit einem Kamera-Handy interessante Filme machen.
Als Extras bietet die Haze-DVD ein eher durchschnittliches Interview mit Tsukamoto (19 Minuten) und ein “Making of” (24 Minuten), bei dem man sich erstens darüber amüsieren kann, wie trödelig das Filmteam mit winzigen Pinseln große Betonflächen bemalte, und zweitens darüber staunt, wie simpel und harmlos das Set dieses Film aussieht, wenn man es nicht durch den Kopf und die Augen des Regisseurs gezeigt bekommt. Schade: Im Interview ist die Rede von einer kürzeren Fassung des Films (25 Minuten), die auf Festivals zu sehen war, der DVD aber fehlt. Es wäre schon interessant gewesen, zu sehen, was der Autor da ausgelassen hat.
Egal, trotzdem unbedingt ansehen: “Haze” ist keine Filmerzählung, er ist eine Erfahrung.
]]>